Jahresrückblick 2007

Nichts Neues in Deutschen Landen, ist man versucht zu sagen, was die Situation der Science Fiction hierzulande angeht. Neben den Großverlagen Bastei und Heyne, dem c’t-Computermagazin und der Endlosreihe bei Pabel/Moewig sind es wie gehabt die Kleinverlage, welche die Szene bestimmen, vor allem im Kurzgeschichtenbereich.

Obwohl auch hier erste zaghafte Mutproben stattfinden: Freilich vorzugsweise bei fremdsprachigen Autoren – so die Phantastik-Collections von China Miéville Andere Himmel und Terry Pratchett’s Der ganze Wahnsinn. Immerhin. Und der kleine Projekte-Verlag steuert mit Allein gegen das Universum die Erzählsammlung eines ›exotisches‹ Autors bei, dem Belgier Frank Roger.

Besser, allerdings fast ausschließlich im Kleinverlagsbereich, sieht es bei den deutschsprachigen Autoren aus: Neben den seit Jahren eingeführten Reihen an Magazinen und Anthologien sind es vor allem Sammelbände, die zum größten Teil aus bereits anderweitig veröffentlichten Storys bestehen, so Die Zukunftsmaschine, die 49 (!) für Herbert W. Franke charakteristische Kürzestgeschichten enthält, sowie Gisbert Haefs Die Reisen des Mungo Carteret, weiter Frank Neugebauer und der kürzlich verstorbene Jan Fuchs (bürgerlich Manfred Brück) mit je einem Sammelband bestehend aus vorwiegend in Fanzines erschienenen Storys, und schließlich die als ›Romane‹ deklarierten Bände Die Schatten des Mars von Frank W. Haubold und Die Zyanid-Connection vom Autorenehepaar Desirée & Frank Hoese.

Letztere beide werfen ein Licht auf die traurigen Befindlichkeiten der Science Fiction in Deutschen Landen: Kurzgeschichten gehen nicht, Romane verkaufen sich wesentlich besser. Was liegt näher, als aus einer Sammlung von lose miteinander verbundenen Geschichten einen ›Episodenroman‹, bzw. einen ›Roman in Erzählungen‹ zu machen? Immerhin kann man den beiden Titeln keinen Etikettenschwindel vorwerfen, sie stehen zu ihren einzelnen Erzählungen – wenn auch, leider, ohne Quellenangabe – und weisen im Begleittext auf ihren Ursprung hin. So erklärt Frank W. Haubold, es sei von jeher seine Absicht gewesen, einen ›Roman‹ aus einer Vielzahl von vorab veröffentlichten Kurzgeschichten zu verfassen – man erinnere sich an Ray Bradburys Sammlung Die Mars-Chroniken. – Ein wahrhaft dreistes Beispiel liefert hingegen der Bastei-Verlag: China Miévilles Andere Himmel, eine Sammlung von Kurzgeschichten, wird einfach zum ›Roman‹ umfunktioniert. So geht das, wenn die Erbsenzähler das Sagen haben.

Der Spruch »Nichts Neues...« muss an dieser Stelle relativiert werden: Es gab eine gute und eine schlechte Neuigkeit. – Die schlechte vorweg: Die von mir im

Shayol-Verlag herausgegebene Anthologie-Reihe VISIONEN, eine Plattform für vorwiegend etablierte deutschsprachige Autoren, wurde mit Band 4 eingestellt. Die gute Nachricht: Hannes Riffel startete im gleichen Verlag mit PANDORA ein großartiges Phantastik-Magazin mit ausgesuchten Übersetzungen, das selbst das ALIEN CONTACT-Jahrbuch deutlich übertrifft und, so finde ich, alles bisher vergleichbar Dagewesene in den Schatten stellt. Schade nur, dass es – wie andere Publikationen der Kleinverlagsszene auch – nur einen eher kleinen elitären Freundeskreis des Genres erreicht. Umso dankbarer sollten wir sein, dass man sich all die Wahnsinnsarbeit macht, und fleißig abonnieren (http://www.shayol.biz/epages/61530001.sf).

Was die Quantität der in Printmedien erstveröffentlichten SF-Kurzgeschichten aus deutscher Feder betrifft, wurde das Niveau der letzten Jahre mit rund 200 Storys in etwa gehalten. Nicht so, was die Qualität betrifft. – 2007 wurde ein Spitzenjahrgang! Noch nie hat es auch nur annähernd so viele bemerkenswerte bis ausgezeichnete Kurzgeschichten in einem Jahr gegeben. Was allein im neuen Jahrtausend von deutschsprachigen Autoren produziert wurde – der Kleinverlagszene sei Dank! – wurde in zwei Jahrzehnten nicht erreicht.

Mit dazu beigetragen hat dieses Jahr vor allem das c’t-Magazin, dessen Story-Rubrik 2007 nicht nur ihr 20jähriges Jubiläum feierte, sondern auch mit einer ganzen Reihe von qualitativ hochwertigen Storys brillierte.

Getrübt wird das Bild lediglich durch ein halbes Dutzend Story-Sammlungen im Eigenverlag, als BoD oder gar im Druckkostenzuschussverlag. Hier wird, weil zumeist selbst ein rudimentärer Filter durch ein Lektorat fehlt und die Produktion frei von kommerziellen Zwängen ist, viel Mist auf den Markt geworfen – der Gott sei dank nur wenige Abnehmer findet, so dass sich der Schaden für das Ansehen des Genres in Grenzen hält. – Und bisweilen findet man ja doch eine kleine Perle. Nach wie vor unverständlich ist mir, dass Autoren, die zu solchen Mitteln greifen, nicht erst ihre Fingerübungen nach Internet und Fanzines in den etablierten Magazinen und Anthologien zu veröffentlichen suchen. – Informieren sie sich denn nicht? Ist ihnen die Szene unbekannt oder meinen sie, sich erst gar nicht beweisen zu müssen?

Hier nun, wie bereits in den VISIONEN 2 bis 4 praktiziert, eine Aufstellung meiner Favoriten unter den tatsächlich erstmals 2007 in Printmedien erschienenen deutschen SF-Kurzgeschichten; sie erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit, allerdings umfasst sie die wichtigsten Publikationen (siehe Anhang). Sie soll dem interessierten Leser als Wegweiser für seine Lektüre dienen, wobei nicht allein literarische Qualitäten das Kriterium bilden, sondern auch Faktoren wie Idee, Anspruch und Unterhaltung, bzw. der gelungene Mix davon. Hier meine »Supernovae« und »Novae« – ohne Nennung der vielen Kometen, Sternschnuppen oder Schwarzen Löcher.

Sollte sich jemand wundern, dass eine Story, die für den DSFP oder KLP nominiert wurde, nicht aufgeführt ist, liegt das keineswegs daran, dass ich sie als minderwertig einstufe. Auch sie hat ihre Meriten, doch leider – nach meinem Dafürhalten – in der Regel auch ihre Macken, weshalb sie mich nicht überzeugen konnte. Oder ich halte sie einfach nur für nette Unterhaltung.

Helmuth W. Mommers, 2008

Supernovae 2007:

Armer, Karl Michael Prokops Dämon (VISIONEN 4)

Hammerschmitt, Marcus Die Lokomotive³ (VISIONEN 4)

Haubold, Frank W. Die Tänzerin² (VISIONEN 4/Die Schatten des Mars – a.T. Die Tänzerin & Lenas Garten)

Hebben, Frank Amethyst (S.F.X)

Hoese, Desirée & Frank Hyperbreed (VISIONEN 4)

Isenberg, Jörg Kausalität irreparabel¹ (CT 3-4/2007)

Iwoleit, Michael K. Der Molochº¹ (VISIONEN 4 – Kurzroman)

Terminal (Das Mirakel)

Jänchen, Heidrun Slomo¹ (Das Mirakel)

Regenbogengrün¹ (VISIONEN 4)

Küper, Thorsten Modus Dei (VISIONEN 4)

Post, Uwe eDead.com² (VISIONEN 4)

Wolfstädter, Ralf Deus et Machina (CT 20/2007)

Novae 2007:

Aster, Christian von Infogeddon (VISIONEN 4)

Beese, Klaus Die Schlange (Der Mutator)

Dickel, Sascha Bio-Nostalgie¹ (VISIONEN 4)

Eckhardt, Holger Kafkas Schloss (NOVA 11)

Nordlicht über Venedig¹ (NOVA 12)

Gardemann, Jan Inspektionsmission (CT 11/2007)

Gerigk, Frank G. Fugen (CT 17/2007)

Greeve, Karsten Träumer (NOVA 12)

Haefs, Gisbert Tischgenossen (Die Reisen des Mungo Carteret)

Haubold, Frank W. Heimkehrº² (S.F.X)

Hebben, Frank Im Labyrinth der Neonrose (NOVA 11)

Hoese, Desirée & Frank Der Amatheia-Stick (Die Zyanid-Connection)

Ein Secondhand-Puzzle (Die Zyanid-Connection)

Zucker (Die Zyanid-Connection)

Isenberg, Jörg Leviathan (CT 8/2007)

Iwoleit, Michael K. Soma (phantastisch! 28)

Klemm, Hans-Wolfgang Das Kaczmarek-Dilemma (Zwischen den Welten)

Kunkel, Thor Aphromorte (VISIONEN 4)

Lange, Helge Menschen, die Geschichte machen (CT 18-19/2007)

Müller, Markus La Rosa (CT 21/2007)

Peinecke, Niklas Die bunten Splitter der Seele² (CT 1/2007)

Imago² (VISIONEN 4)

Invasive Techniken (Das Mirakel)

Retrozone (CT 21/2007)

Post, Uwe param_set#75 (CT 7/2007)

Der SoftWin-Crash (CT 24/2007)

Ramos, José Vicente Ein Haus namens Emily (Zwischen den Welten)

Rößler, Armin Cantals Tränen (S.F.X)

Schneider, Bernhard Methusalem (VISIONEN 4)

Modulation¹ (Lazarus)

Schweizer, Frank Inspektor Pyrrhon und der Killerfön (Das Mirakel)

Stevenson, Scott W. Der Lazarus-Mann (NOVA 11)

Tillmanns, Andrea Happy Birthday (S.F.X)

Vennekohl, Petra Tattoos (Lazarus)

Weis, Christian Bußfertig (CT 12-13/2007)

Weißbecker, Bernhard Der König der Fischer (CT 9/2007)

º¹ ausgezeichnet mit dem Kurd Laßwitz Preis 2008

º² ausgezeichnet mit dem Deutschen Science Fiction Preis 2008 und nominiert

für den Kurd Laßwitz Preis 2008

¹ nominiert für den Deutschen Science Fiction Preis 2008

² nominiert für den Kurd Laßwitz Preis 2008

³ nominiert sowohl für den DSFP als auch den KLP 2008

Berücksichtigt wurden (ausschließlich Erstveröffentlichungen):

C’T 1-25/2007 (Redaktion: Bernd Behr, Heise, Computermagazin)

NOVA 11-12 (Redaktion: Ronald M. Hahn, Verlag Nummer 1, SF-Magazin)

PANDORA 1-2 (Redaktion: Hannes Riffel, Shayol, Phantastik-Magazin)

PHANTASTISCH! 25-26 (Redaktion: Gabriele Scharf, Havemann, Phantastik-

Magazin), 27-28 (Redaktion: Armin Rößler)

VISIONEN 4/2007 – Der Moloch (Hrsg. Helmuth W. Mommers, Shayol

978-3-926126-74-0)

Lazarus (Hrsg. Armin Rößler & Heidrun Jänchen, Wurdack, 3-938065-21-4)

Das Mirakel (Hrsg. Frank W. Haubold, EFCD, 978-3-932621-99-4)

Der Mutator (Klaus Beese, Projekte-Verlag, Collection, 978-3-86634-247-7)

Die Reisen des Mungo Carteret (Gisbert Haefs, Collection, Phantasia,

978-3-937897-24-0)

Die Schatten des Mars (Frank W. Haubold, Roman-Episoden, EFCD,

978-3-939914-00-6)

S.F.X (Hrsg. Armin Rößler & Heidrun Jänchen, Wurdack, 3-938065-29-X)

Störenfriede (Jan Fuchs, Collection, Gardeweg Verlag, 978-3-0002-2464-5)

Zwischen den Welten (Hrsg. SFC Baden-Württemberg, 978-3-83-700218-8)

Die Zyanid-Connection (Desirée & Frank Hoese, Roman-Episoden, Wurdack,

3-938065-22-2)

Links:

Kurd Laßwitz Preis - www.epilog.de/Dokumente/Preise/SF/Lasswitz/Index.html

Deutscher Science Fiction Preis - www.dsfp.de

Deutscher Phantastik Preis - www.deutscher-phantastik-preis.de

Eine nahezu vollständige Liste aller im jeweiligen Jahr neu erschienenen SF-Kurgeschichten - www.martin-stricker.de/infos/sf/deutsche-sf.html

Für Recherchen sehr zu empfehlen ist die Datenbank von Christian Pree - www.chpr.at/sfstory.html

Diskussionen über die VISIONEN sowie über andere SF-Neuerscheinungen finden regelmäßig in folgenden Internet-Foren statt: www.scifinet.org und www.sf-fan.de. Autoren und Herausgeber freuen sich über Leser-Feedback.