Interview

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Interview "Die Rückkehr des Zeitreisenden" aus ALIEN CONTACT 63/2004

Interview aus SONO 2 bei fantasyguide.de

 

Interview aus phantastisch! 9

"Ich neige zum Perfektionismus"

 

2003 © Havemann-Verlag, phantastisch! 9,

Interview von Rüdiger Schäfer

 

Rüdiger Schäfer: Deine Jugend und Kindheit fällt in eine Zeit, in der die phantastische Literatur im deutschsprachigen Raum noch in den Kinderschuhen steckte. Wie bist Du in Kontakt mit der Science Fiction gekommen? Und was hat Dich schließlich dazu gebracht, es selbst mit dem Schreiben zu versuchen?

 

Helmuth W. Mommers: Jim Parkers Abenteuer im Weltraum sowie die frühen Utopia- Großbände, im speziellen die Zeitreise-Romane von Clark Darlton, waren meine erste, sporadische Berührung mit der SF. Als ich dann, als Siebzehnjähriger, in Arnulf D. Krauß einen mir gleichgesinnten Klassenkameraden traf, gab es kein Halten mehr; auf dem langen Schulweg erzählten wir einander Geschichten und Romane - und Arnulf weckte mein Interesse an A. E. van Vogt, als er mir Briefe von den Sternen nacherzählte, sowie an K. H. Scheers ZBV-Serie und Heinleins Abenteuerromane als Leihbücher. Schon schlug meine Fantasie Purzelbäume; statt im Unterricht aufzupassen, kritzelte ich bereits erste Traktate nieder, reine Fingerübungen natürlich.

 

Dann entdeckte ich die Utopia-Kriminalromane, die mich faszinierten, bis - ja, bis die Handlung plötzlich in den Weltraum verlegt und die Serie dann auch bald eingestellt wurde. Aus war's mit der Faszination! - Noch in der Schule entdeckte ich, bei einem anderen Klassenkameraden, das Utopia-Magazin. Erst konnte ich so gar nichts mit diesen Kurzgeschichten anfangen; gerade wenn´s so richtig spannend wurde, war die Story schon zu Ende. Aber nicht lange und ich lernte die Kurzform schätzen (die Romane waren damals ja auch nicht sooo viel länger!). Und schon folgte Galaxis - jetzt ging´s so richtig los mit meiner Vorliebe für Kurzgeschichten: Sheckley, Dick und Galouye hinterließen unauslöschliche Spuren.

 

Arnulf und ich landeten als Achtzehnjährige beim Wiener SF-Klub, welcher das Amateur-Magazin Pioneer herausgab; sogleich wurde ich einer der eifrigsten Mitarbeiter - schrieb und übersetzte Stories (was sich in dem Preis "bester Fan-Autor 1961" sowie "bester Fan-Zeichner 1961 und 1962" niederschlug), zeichnete als "arol", wurde Spartenredakteur. So kam es, dass mir Ernst Vlcek mit einer Mappe von Manuskripten überreicht wurde - darunter die erste Fassung von Traumwelt, die dann, von mir überarbeitet, den Grundstein für unsere spätere Teamarbeit darstellte. In der Folge schrieben wir (Ernst war 22, ich gerade mal 19) von 1962 - 1965 gemeinsam 18 Kurzgeschichten und vier Kurzromane: den Zyklus Das Galaktikum, 1999 als Nachdruck im Blitz-Verlag erschienen, ebenso wie 2002 als Nachdruck den Erzählband Traumwelten, der vier Geschichten enthält, die nie in einem Verlag erschienen sind.

 

Was ist aus dem Zeichnen geworden? Machst Du das auch heute noch, oder konzentrierst Du Dich ganz auf das Schreiben?

 

Mein zeichnerisches Talent kam mir sehr zugute in meinem späteren Beruf als Juwelier; die meisten Entwürfe für Neuanfertigungen machte ich selbst. Jetzt bin ich bei Nova als Spartenredakteur für Grafik zuständig; die Illustrationen überlasse ich, mal von einer Ausnahme abgesehen, aber anderen. Ich möchte mich ganz auf das Schreiben konzentrieren.

Anfang der 60er Jahre warst Du als Übersetzer, Literaturagent und Herausgeber überaus aktiv - und als Autor insbesondere im Team mit Deinem Kollegen Ernst Vlcek. Was hat Dich 1966 dazu bewogen, diesen Pfad zu verlassen, in die Schweiz überzusiedeln und einen kaufmännischen Beruf zu ergreifen?

 

Ja, das schien vielen unerklärlich. Ich hatte doch in so kurzer Zeit so viel erreicht, war damals neben vielleicht Walter Ernsting, dem ich übrigens meinen ersten Übersetzerauftrag verdankte und der mich auch sonst unterstützte, der Allrounder in der aktiven Szene.

 

Erst mit A. D. Krauß, dann mit Kurt Luif (alias Neal Davenport), gründete ich eine Literatur-Agentur, ich stellte viele Storysammlungen angloamerikanischer Autoren zusammen, die es im Original gar nicht gab, dann, gemeinsam mit Krauß, vor allem die heute allgemein als "legendär" (Fuchs), "1.Sahne" (Hahn) oder "Nonplusultra" (Jeschke) bezeichneten sechs Heyne SF- und drei Fantasy/Horror-Anthologien. Streng genommen, und darauf bin ich besonders stolz, war das Gespann Mommers/Krauß sogar der erste Anthologist (im Unterschied zu Magazin-Herausgeber) in deutschen Landen, von Gotthard Günthers einmaliger Anthologie 1952 mal abgesehen, der nicht einfach nur eine Auswahl aus einem amerikanischen Magazin traf, sondern echt nach Themen zusammenstellte: So waren wir beide weltweit die ersten überhaupt, die SF-Weihnachtsgeschichten oder SF-Kriminalgeschichten herausgaben - und nicht die letzten, wie ich später schmunzelnd feststellen durfte ...

 

Zwei Mommers/Vlcek-Stories habe ich sogar nach Amerika verkauft, an Frederik Pohl, als "deutscher" Vertreter in seinem Magazin International Science Fiction. Man bedenke: 1965! - Eine großartige Zukunft schien mir offen zu stehen ...

 

Aber wenn man jung ist, hat man zu wenig Geduld. Ich wollte alles erreichen - jetzt und heute! So wurde mein Vorwärtsstürmen gebremst: ein SF-Magazin-Konzept abgelehnt, eine Fantasy-Taschenbuchreihe abgelehnt, ein selbständiges Lektorat für z.B. alle Kurzgeschichten-Veröffentlichungen im Heyne/Moewig-Verlag (die ich ohnehin schon zu 80% beherrschte) abgelehnt. - Wäre ich noch ein, zwei Jahre länger am Ball geblieben, das alles und noch manches mehr wäre "mein" gewesen ... So konnten andere (Wolfgang Jeschke, Hubert Strassl, Kurt Luif) in meine Fußstapfen treten. Aber ich war zu früh dran - und zu ungeduldig. Ich sah mich, ungerechterweise, als eine Art Don Quichotte, der vermeintlich gegen böswillige Feinde anrannte - dabei waren diese nur Windmühlenflügel.

 

Hinzu kamen familiäre Probleme; meine Mutter lebte in der Schweiz, aus ihrer Übersiedlung nach Wien, wo sie eine Wohnung für uns beide besorgt hatte, wurde nichts. Ernst und mir wurde 1965 anerboten, bei Perry Rhodan mitzuschreiben; ich lehnte ab und kündigte unsere Zusammenarbeit aus Gründen, die ich heute nicht mehr ganz nachvollziehen kann, auf.

 

Hast Du diese "Ungeduld" im Nachhinein nicht bedauert und Dir Vorwürfe gemacht, damals eine große Chance verpasst zu haben?

 

Es vergingen viele Jahre, ehe ich realisierte, welche Chance ich da verpasst hatte; aber mittlerweile hatte ich Karriere und mich dann sogar selbständig gemacht, der Erfolg schlug sich wenn schon nicht in ideeller, so doch in finanzieller Weise nieder, das entschädigte mich allenthalben. Aber ich muss gestehen: Ich blicke mit einem lachenden und einem weinenden Auge zurück. Nichts ist befriedigender, als wenn man sein Hobby zum Beruf machen kann.

 

Hattest Du in all den folgenden Jahren Kontakt zu Ernst Vlcek? Was ist Dir aus der Zeit der gemeinsamen Arbeit in der Erinnerung haften geblieben?

 

Überhaupt nicht, ebenso wenig wie mit meinen übrigen Clubkameraden. Ich habe buchstäblich alle Brücken hinter mir abgebrochen und mich voll auf meine neue Zukunft konzentriert. Nicht aber meine Liebe zur SF aufgekündigt.

 

An Ernst Vlcek erinnern mich vorwiegend schöne Zeiten, auch wenn uns manchmal das Zigarettengeld ausging. Ich weiß noch sehr gut, wie ich - William Voltz´ Kurzgeschichtensammlung Quarantäne, die erste "deutsche" in Heftform überhaupt, in den Händen haltend - zu Ernst sagte "He, der hat es geschafft! - Das können wir auch, los, fahren wir in die Schweiz zu meiner Mutter, jobben wir für gutes Geld und schreiben nebenher alte Geschichten um und neue dazu!" Gesagt, getan - drei Monate später, auf dem Heimweg nach Wien, kündigten wir bei Schelwokat, dem Lektor des Moewig-Verlages, eine Stippvisite an, nur um uns vorzustellen ... In Wirklichkeit wollten wir nachhaken, was er von unseren Stories halte. Und er hielt viel davon: so viel, dass er noch im selben Jahr (1964) gleich zwei Sammlungen publizierte. Hurray! Wir waren Profis!

 

Noch lange danach hörte ich Ernst neben mir in meiner Wohnung die Schreibmaschine malträtieren; wurde sein Trauzeuge, sah ihn, den Erstgeborenen liebevoll auf dem Arm halten, diskutierte endlose Stunden bis in die Nacht hinein, zu zweit oder mit Kurt Luif oder im Kreise der Klubkameraden. Jugendzeit, Sturm und Drang, jetzt verklärte Zeit.

 

Heute, nach 36 Jahren, hast Du wieder mit dem Schreiben begonnen. Was war der Auslöser?

 

1998 hatte ich mich frühzeitig aus dem Berufsleben zurückgezogen, 1999 war ich ganz nach Mallorca übersiedelt. Im gleichen Jahr erschien, ohne mein Wissen freilich, der Nachdruck Das Galaktikum, allerdings wurde vom Verlag in der 1. Auflage mein Name unterschlagen, tauchte nur als Randnotiz auf der Rückseite auf. Und es erreichte mich die Kunde, der Ernst feiere seinen 60. Geburtstag, ob ich nicht einen Beitrag zu einem ihm gewidmeten Jubiläumsband leisten möge.

 

Ich tat´s natürlich - zu so einem Anlass! - unter dem Titel "Wie alles seinen Anfang nahm ..." Und ich tat ein übriges; ich flog als Überraschungsgast nach Wien und präsentierte ihm auftrags der Perry Rhodan FanZentrale im Kreise auch einiger Ehemaliger wie A. D. Krauß, Axel Melhart und Franz Rottensteiner die Hommage. Er erkannte mich erst gar nicht, dann war er platt.

 

Das Wiedersehen mit ihm und einigen anderen weckte bei mir verschüttete Lebensgeister; und als er 2001 als lieber Freund und Gast bei mir auf Mallorca weilte, war die Idee zu einer möglichen zukünftigen Welt, wie sie dieses Jahrhundert noch Wirklichkeit werden könnte, gereift. Aber Ernst war in die äonenfernen Welten des "Perryversums" abgetaucht und hatte offensichtlich nichts im Sinn mit unserer nahen Zukunft. Außerdem musste ich mir erst mal selbst beweisen, dass ich - immer noch und überhaupt - schreiben konnte.

 

Weihnachten 2001 (also vor einem Jahr) stand der obligate zweimonatige Urlaub in den Schweizer Bergen an (meinem ehemaligen Geschäftsdomizil); also kaufte ich, aus Lust und Frust darüber, zwei Monate dem Nichtstun ausgesetzt zu sein, einen Laptop und legte los.

 

Nach einer so langen Pause könnte ich mir vorstellen, dass ein Wiedereinstieg nicht ganz einfach ist. Gab es diesbezüglich größere Barrieren zu überwinden? Fällt Dir das Schreiben heute schwerer als damals?

 

Das dachte ich auch! Fast hatte ich Angst davor, immerhin hatte ich in 36 Jahren nicht eine einzige Zeile Prosa geschrieben! - Und schon nach den ersten zwei Seiten Schlaraffenland (eine zentrale Novelle im Erzählband Sex, Love, Cyberspace, soeben im Blitz-Verlag erschienen) zeigte ich sie, nicht ohne Zittern und Zuspruch heischend, meiner Frau, was sie davon halte ... Und die nächsten paar Seiten. Dann, irgendwie, merkte ich: ich hatte es nicht verlernt - konnte es, wahrscheinlich, besser denn je. Jaja, das Alter! sagte ich, wie immer öfter, zu meiner Frau und zu mir selbst. Zu irgendetwas muss es ja gut sein ... Wenn schon greiser, wenigstens weiser.

 

Nein, ich glaube nicht, dass es mir schwerer fällt. Schon damals feilte ich immer wieder am Text; ich neige, gelinde gesagt, zum Perfektionismus: also schaffe ich in der Regel nur 4-5 Standard-Manuskriptseiten pro Tag, dann muss ich abschalten.

 

Was ich nicht kann. Noch während des Tages, erst recht in der Nacht, greife ich wiederholt zum Bleistift und mache Notizen. Unaufhörlich - bis die Story beendet ist. Dann atme ich tief durch und lehne mich gelassen zurück, vorzugsweise in der Sonne, von der es ja in den Schweizer Bergen oder an Mallorcas Gestaden so reichlich hat. Nicht ohne nach einer Weile wieder nach einem solchen Manuskript zu greifen und - immer was zum Verbessern zu finden ...

 

Eine nicht geringe Anzahl Deiner neuen Geschichten beschäftigen sich mit dem Thema Erotik. Gibt es - abgesehen von der Tatsache, dass die Erotik immer ein anregendes Genre ist - einen besonderen Grund für diese Themenwahl?

 

Der Cyperspace, auf den wir dank der heutigen Technik mit Siebenmeilenstiefeln zusteuern, eröffnet neue Welten für das Auskosten der ältesten Droge der Welt:  SEX. Der Gebrauch und Missbrauch dieser Möglichkeiten wird ein alles beherrschendes Thema sein; da stellt sich sofort auch die Frage, was denn dann von unserer alten Körperlichkeit übrigbleibt. Ich meine, wenn man über die nahe Zukunft schreiben möchte (und das war meine ursprüngliche Absicht), kommt man gar nicht daran vorbei. Anders als beim Fernsehen, wo man spätestens nach 5 Minuten - sinn- und bezugslos - einen Fick vorgesetzt bekommt, machte ich SEX und LOVE zum Angelpunkt einer Themen-Kollektion, die sich, ohne den Geschlechtsakt in rüde Worte zu fassen oder in Perversitäten abzugleiten, schwerpunktmäßig mit diesem zentralen Trieb befasst, wahrscheinlich einmalig in der SF-Szene.

 

Als ich die ersten zwei, drei Geschichten geschrieben hatte, erkannte ich, dass es noch viel mehr Aspekte zu diesem Thema gab, also entschied ich mich, gezielt auf ein Buchvolumen hinzuarbeiten. Irgendwann sagte ich dann "so, jetzt reicht´s - sonst nimmt das überhand". Aber ich könnte noch manche Story hinzuschreiben; das Thema ist noch lange nicht ausgeschöpft.

 

Deine mir bekannten Texte bewegen sich bislang eher auf dem Gebiet der klassischen Science Fiction (also Raumschiffe, Aliens etc). Liegen da Deine Hauptinteressen respektive schriftstellerischen Stärken?

 

Nicht nur. Mit Ernst hatte ich diverse Geschichten geschrieben, die im Zwischenbereich, bzw. in der Fantasy angesiedelt sind; in Traumwelten ist dieser Sparte sogar ein eigener Buchabschnitt gewidmet. - Tatsache ist aber, dass mir die SF viel mehr zusagt und auch mehr liegt. Ich bin mehr Verstandes- als Gefühlsmensch, ein Analytiker und Logiker, wenn man an meine seinerzeitige Tätigkeit bei einer Computerfirma denkt.

 

Andererseits wohnt auch das Gespür für Malerei in meiner Brust, für Schönheit und Gestaltung, was mit Verstand wenig zu tun hat: siehe mein späterer Beruf als Juwelier. Manche meiner erotischen Cyberspace-Geschichten sind mit kleinen Horror-Szenen gewürzt, das lässt mir Spielraum für Fantasy-Elemente. Das reicht.

 

Wenn sich Deine Frage auf das heutige Schaffen bezieht: Ja, eindeutig! Ich liebe die SF von Theodore Sturgeon und Cordwainer Smith, die finde ich faszinierend, aber - von vielen anderen Vorbildern mal abgesehen - fand und finde ich Sheckley & Co einfach, was die Short Story betrifft, Klasse: Voller spritziger Ideen und Humor. Ich glaube, neuerdings trete ich eher in seine Fußstapfen. Und fühle mich wohl darin. - Nachdem praktisch alle Themen abgegrast sind, eher ein Aufguss der 50er-/60er-Jahre, und heute Zeitreisen, Aliens und Psi-Talente gefeiert werden, als seien sie soeben erfunden worden, erhält die menschliche Seite eine verstärkte Gewichtung, und natürlich die "speculative fiction", die Geschichten über die nahe Zukunft, dies auch in meinen Stories.

 

Inwieweit nimmst Du an der aktuellen SF-Szene Anteil? Verfolgst Du die Veröffentlichungen in Literatur, Film etc.? Was sind diesbezüglich Deiner Meinung nach die maßgeblichsten Veränderungen in den letzten 30 Jahren?

 

Seit meinem Wiedereintritt in den SFCD, vor rund 2 Jahren, durchforste ich die "deutschstämmigen" SF-Kurzgeschichten der 80er-Jahre. Danach hatte ich aufgehört zu sammeln. - Und jetzt wieder die Neuerscheinungen deutscher Zunge. In den vergangenen 35 Jahren habe ich sehr viel gesammelt, fast nichts gelesen, außer etwas Clarke, Aldiss, Asimov, Bova und vereinzelte Romane. Wenn ich etwas schreibe, stelle ich wahrscheinlich bald fest, dass das auch schon zur Genüge anderweitig behandelt wurde - aber eben nicht auf meine Art.

 

Filme habe ich die meisten gesehen, von den Serien oft nur den Pilotfilm oder ein paar Folgen. Nur das alte Raumschiff Enterprise und die ersten Staffeln Akte-X konnten mich lange in ihren Bann ziehen, sie waren eher verfilmte Kurzgeschichten wie auch Das blaue Palais oder Die unbekannte Dimension. Bald merkte ich, Serien sind nicht mein Ding, vor allem nicht, wenn sich ein roter Faden endlos weiterzieht oder sich die Plots im Kern wiederholen; immer wieder die gleichen Reibungspunkte unter den Protagonisten, die gleichen obligaten Problemchen oder Konflikte, der alte Einheitsbrei stets von neuem aufgewärmt, bis er schal und platt wird, langweilen mich.

 

Ich glaube, nach dem wenigen, was ich inzwischen gelesen habe, lassen sich die maßgeblichen Veränderungen auf einen Punkt bringen: Die Romanautoren werden angehalten, das Thema breit und tief auszuwalzen, oftmals episch über mehrere Bände hinweg, statt der seinerzeit üblichen 150-200 Seiten. Das erlaubt Ihnen eine eingehende Behandlung des Themas und - vor allem - bedingt es, die Protagonisten mit Leben zu erfüllen, sehr zum Wohle der Literaturgattung. Bestes Beispiel hierfür ist Ben Bova. Seine letzten Romane behandeln mehrheitlich Themen, die uns seinerzeit nur ein großes Gähnen entlockt hatten. Mond, Mars, mein Gott, welch alte Klamotten! Aber sooo spannend geschildert, dass man meint, selbst dabei zu sein.

 

Das ist SF, wie sie sein sollte. Wirklichkeitsnah in aller ihrer Phantastik. - Die Handlung Millennien, Äonen in der Zukunft spielen zu lassen, das hatten schon E. E. Smith, A. E. van Vogt oder gar Olaf Stapledon vor vielen, vielen Jahrzehnten vorexerziert ...

 

Darüber hinaus ist das literarische Niveau deutlich gestiegen; auch Themenwahl und Charakterisierung sind anspruchsvoller, um nicht zu sagen "erwachsener" geworden. Dabei fällt mir das teilweise krampfhafte Bemühen deutscher Autoren und Herausgeber auf, sich von den angelsächsischen Vorbildern zu lösen und einen "eigenständigen deutschen" Weg zu beschreiten.

 

Es ist aber nicht damit getan, dass man Johnny in Hans umtauft und New York gegen Berlin austauscht und etwas Lokalkolorit reinbringt. Auch nicht damit, dass man die New Wave der 60er-/70er-Jahre noch in den Achtzigern zelebriert, wo sie schon das Zeitliche gesegnet hat. Und am allerwenigsten ist der Science Fiction hierzulande gedient, wenn man abgehobene Themen wählt und sich in literarischen Höhenflügen übt auf Kosten der Handlung, oftmals mit nur einem rudimentären Anteil an SF, und dabei die Unterhaltung und den Sense of Wonder links liegen lässt. Da wundert mich nicht, dass sich viele von der SF abwenden. Wenn ich "Stilübungen" konsumieren möchte, dann doch eher dort, wo sie von Weltklasse-Autoren beherrscht werden. Literarischer Anspruch in der SF - ja, aber nicht als Selbstzweck.

 

Und noch etwas mag der SF während der letzten ein, zwei Dekaden zugesetzt haben: Die Funktion der seinerzeit verschrienen "Groschenhefte" scheinen die TV-Serien übernommen zu haben, das prägt ein völlig falsches Bild von der SF. Wieder könnte man sagen: Nichts als Schund!

 

Wenn der Cyberspace - so wie Du ihn sehr anschaulich schilderst - denn wirklich kommt: Siehst Du in zwanzig oder fünfzig oder meinetwegen auch hundert Jahren überhaupt noch eine Zukunft für das Lesen? Wozu lesen, wenn man die Geschichten direkt "erleben" kann?

 

Das Problem scheint sich jetzt bereits abzuzeichnen; wie viele Kids tauschen den Game Boy gegen das Buch ein? - Doch erst, wenn sie erwachsen geworden sind und selbst Kinder haben. Zumindest bleibt uns noch eine Weile lang diese Hoffnung.

Zu meinem Leidwesen muss ich gestehen, dass ich dem Buch keine große Zukunft gebe. Die Medien werden das Buch zunehmend in ein Schattendasein drängen. Kino war eine Sache, Fernsehen eine andere, auch Computerspiel noch nicht das letzte Wort - aber alles ist nichts im Vergleich zu Holovision oder Cyberspace, wenn sie erst mal unsere Welt erobert haben - und zu interaktiven Konsum einladen.

 

Was sind Deine schriftstellerischen Pläne für die Zukunft? Was kommt nach Deiner Kollektion Sex, Love, Cyberspace? Willst Du Dich weiter eher auf Kurzgeschichten konzentrieren, oder ist eventuell auch mit einem neuen Roman zu rechnen?

 

Inzwischen habe ich weitere 9 Kurzgeschichten geschrieben, über verschiedenste Themen, die mit Cyberspace nichts zu tun haben. Die eine oder andere wird noch 2002 veröffentlicht, in einer Fantasy-Anthologie, in einer Zeitschrift, u.a. in dieser Ausgabe, bzw. in Nova 2. Und es werden nicht die letzten sein ...

 

Für diesen Winter in den Bergen habe ich mir einen Roman vorgenommen. Das Grobkonzept steht schon, derzeit arbeite ich am Gerüst; mal sehen, ob ich es durchhalte. Ist ja mehr eine Frage der Ausdauer und Hartnäckigkeit als eine, sich immer wieder völlig neue Ideen einfallen zu lassen.

 

Verrätst Du mir mehr darüber?

 

Nur soviel: Er wird Nekropolis heißen und vom Konflikt handeln zwischen den irdischen, materiellen Dingen huldigenden "Lebenden" auf der Erde und jenen den ideellen, immateriellen Gütern verpflichteten "Verstorbenen" im Cyberspace. Die Frage nach der Zukunft der Menschheit stellt sich zwangsläufig.

 

Du hast jetzt einige Mal das Projekt Nova erwähnt. Um was geht es dabei?

 

Nova ist das Projekt dreier unverbesserlicher Idealisten, Ronald M. Hahn, Michael K. Iwoleit und meine Wenigkeit, zum wiederholten Male ein deutsches SF-Magazin auf die Beine zu stellen. Mit dem Unterschied, dass es diesmal klappen muss. Es wird im "Book on Demand"-Verfahren hergestellt, also ist das finanzielle Risiko äußerst bescheiden.

 

Mit seiner professionellen Aufmachung in Paperback-Format mit 180 Seiten, den tollen Farbcovers, Innenillustrationen und dem Schwerpunkt auf solide und unterhaltsame, dabei anspruchsvolle Science Fiction etablierter deutscher Autoren überbrückt es das Jammertal, in das die Kurzgeschichten-Szene versunken ist, und reaktiviert, so hoffen wir, einige jener Schriftsteller, die sich inzwischen von der SF abgewandt haben.

 

Wie sagte Brian W. Aldiss, der uns kostenlos die Rechte an einer seiner Geschichten überließ: "Euer Nova ist ein bewundernswertes Unterfangen. Immer schon mussten SF-Fans die Dinge selbst in die Hand nehmen - das ist edle Tradition. Viel Glück mit dem neuen Magazin."

 

Angenommen Du wärst mit unbegrenzten Mitteln und Zeit ausgestattet, welches schriftstellerische Projekt würdest Du dann gerne verwirklichen?

 

Hm, eigentlich bin ich das. Also, natürlich nicht "unbegrenzt", schließlich habe ich mit meinen 59 Jahren dank meiner zu frühen Geburt keine Aussichten, weit über Hundert zu werden, geschweige denn ewig zu leben (nicht mal als "Geist" im virtuellen Raum wie in meiner Story Für immer und ewig) - oder wie in meinem Romanprojekt.

 

Und da ich das Glück habe, von den Früchten meiner Arbeit aus früherer Tätigkeit leben zu können, muss ich nicht auf Teufel-komm-raus was schreiben - oder darben! Aber wollte ich einen Traum verwirklichen, dann den, ein professionelles SF-Magazin herauszugeben, das im Zeitschriftenhandel vertrieben wird, oder gleich einen SF-Verlag zu gründen.

 

Allein in Anbetracht der derzeit tristen Situation im Buchhandel (allgemein) und in der SF (speziell) sehe ich keine wirtschaftlich realistische Basis. Aber wie ich immer sage, nichts im Leben befindet sich auf einer Einbahnstrasse, es geht nicht immer nur in die eine Richtung ... So bleibt uns noch die Hoffnung auf eine Wende.